„Guten Tag, allgemeine Verkehrskotrolle. Ihren Führerschein und die Fahrzeugpapiere bitte.“
Der Weihnachtsmann starrte den Beamten mit kugelrunden Augen an. So etwas war ihm in seiner beinahe 70jährigen Laufbahn noch nie passiert.
„Entschuldigung … allgemeine was?“
„Verkehrskontrolle. Warnweste, Warndreieck, Führerschein, Sie wissen schon …“
Der Weihnachtsmann hatte keine Ahnung, wovon dieser Polizist sprach, und gab dies auch offen zu: „Ich habe keine Ahnung, wovon Sie reden, junger Mann.“
„Fangen wir doch einfach vorne an und arbeiten wir uns dann einfach durch die StVO“, schlug der Polizist fröhlich vor, vermutlich noch in der irrigen Annahme, einfach nur einen freundlichen älteren Mann im Nikolauskostüm vor sich zu haben.
„Zuerst einmal der Führerschein.“
„Was für ein Führerschein?!“ der Gesichtsausdruck des Weihnachtsmannes hatte sich bisher kaum verändert, eine Maske reiner Ungläubigkeit. Lediglich die kleine Falte zwischen den buschigen Augenbrauen hatte sich zu einer tiefen Furche vertieft, was die Rentiere etwas nervös machte.
„Hast Du überhaupt eine Ahnung, wer ich bin?“
„Das wird dann wohl auf dem Führerschein stehen …“ der Beamte streckte weiter seine Hand aus, das höfliche, beinahe fröhliche Lächeln wirkte erstaunlich echt.
„Das hier ist ein Schlitten … dafür braucht man doch keinen Führerschein! Das ist mir in meiner fast 70jährigen Laufbahn ja noch nie passiert!“
„Doch, ein Pferdegespann erfordert zur Führung im öffentlichen Verkehr einen Kutschenführerschein A.“ Sein Blick glitt anerkennend über die Rentierhorde, „Ganz besonders bei derart vielen eingespannten Tieren. 24? Alle Achtung!“
„Das sind keine Pferde, das sind Rentiere. Und das hier ist keine Kutsche, sondern ein magischer Schlitten“, entgegnete der Weihnachtsmann und schickte sich an, die Zügel schnalzen zu lassen. Für ihn war die Angelegenheit zufriedenstellend geklärt.
„Mooooment, das ist egal. ‚Wer ein Gespann mit einem oder mehreren Tieren im öffentlichen Straßenverkehr führt, benötigt dazu einen Kutschenführerschein A oder ein Reitabzeichen 6 oder 7, wenn das Gespann weniger als 50kg wiegt.‘“ Mit einem Blick auf den riesigen, kuppelförmig beladenen Schlitten bemerkte er dann, „Naja, letzteres trifft hier wohl nicht ganz zu. Aber zu den Frachtpapieren kommen wir dann gleich.“
„Geht’s denn bald weiter?“ meldete sich eine Stimme unter dem Pakethaufen zu Wort. „Hier ist es nicht besonders gemütlich, wie Du weißt.“
„Halt bloß den Mund da hinten, ich hab hier ganz andere Sorgen als Eure kalten Füße!“ rief der Weihnachtsmann genervt über die Schulter.
„Was war denn das?“ Der Beamte versuchte, den Urheber der Beschwerde auszumachen, aber er sah nur eine Menge reich verzierter Geschenke.
„Das war einer der Elfen, die gehen mir schon den ganzen Abend auf den Sack.“
Obwohl der Weihnachtsmann sich über das gelungene Wortspiel freute, konnte das seine Laune nur wenig heben.
„‘Einer der‘… wie viele sind denn da auf der Ladefläche?‘“
„Keine Ahnung, ich weiß nicht mal, wie viele davon insgesamt bei mir rum lungern, wie soll ich da wissen, wie viele in den Schlitten eingestiegen sind?“ Das war zwar eine glatte Lüge, er kannte jeden seiner 287 Elfen ganz genau, aber diese Äußerung mangelnder Wertschätzung schien ihm nach dem anstrengenden Genörgel der Elfen durchaus gerechtfertigt und passte auch zu seiner momentanen Gesamtstimmung.
„Wer ist alles an Bord?“ rief er dann in Richtung Ladefläche.
„Six“, „Flix“, „Trix“, „Mix“, „Fax“, “Flax”, “Pax”, “Knax”, “Dax”, “Wax”,”Pix“, …
Nacheinander meldeten sich die Elfen namentlich von den unterschiedlichsten Stellen des Pakethaufens. Einige schienen sogar unter der Ladefläche verborgen zu sein.
“Stop, ist gut!” rief der Polizist.
„Das sind mehr als 7, da benötigen wir dann noch den Personenbeförderungsschein.“
„Guter Mann, sie treiben mich in den Wahnsinn. Ich muss noch 7349 Pakete ausliefern und ich hab nicht ewig Zeit dafür!“
„Na dann beschleunigen wir das Ganze doch etwas. Die Frachtpapiere brauche ich auch noch.“
„Hab ich alles nicht dabei“, antwortete der Weihnachtsmann wahrheitsgemäß.
„Wo sind die Dokumente?“
„Na zu Hause, am Nordpol.“
„Nordpol. Außerhalb der EU. Dann brauchen wir noch die Einfuhrbescheinigungen vom Zoll und die Reisepässe der Fahrgäste.“
Dem Weihnachtsmann entglitten die restlichen Gesichtszüge.
„Wie jetzt, von jedem? Sie wollen die alle einzeln kontrollieren?“
„Selbstverständlich.“ Der Polizist lächelte weiterhin vergnügt. „ICH habe Zeit.“
„Das sind Elfen. Die haben keine Pässe. Die sind sozusagen staatenlos.“
„Na dann, steigen Sie mal alle aus und wir machen eine vorläufige Personenerkennung.“
Von hinten meldete sich nun Pax zu Wort.
„Mann Ruprecht, nun lass gut sein, es ist wirklich noch eine lange Nacht, es ist kalt und unbequem. Geh lieber heim und mach schon mal Tee.“
Auch Rudolph drehte sich um und rief über die Schulter „Ich weiß wirklich nicht, warum du jedes Mal wieder auf ihn reinfällst. Ich glaube, du brauchst vermutlich einfach mal eine neue Brille. Können wir jetzt bitte endlich weiter?“